Wie in einer der größten verlassenen Villen der Welt wieder Leben einkehren soll
Hinter der Fassade von Lynnewood Hall

Dieses neoklassizistische Bauwerk mit 110 Räumen gilt als eines der größten noch existierenden Herrenhäuser des Gilded Age, einer wirtschaftlichen Blütezeit Ende des 19. Jahrhunderts in den USA. Lynnewood Hall in Philadelphia zählte einst zu den schönsten Anwesen seiner Zeit, doch wegen einer tragischen Familiengeschichte verfiel die prächtige Villa. Nun erwacht sie jedoch endlich aus ihrem Dornröschenschlaf und soll in den nächsten Jahren wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen.
Hier schauen wir hinter die Fassade von Lynnewood Hall und verraten, wie das alte Gebäude gerettet werden soll und was es mit der „Titanic“ zu tun hat ...
(Alle Beträge an die Inflation angepasst und von US-Dollar in Euro umgerechnet.)
Adaptiert von Sandra Schröpfer und Jasmin Moore
Die Entstehung von Lynnewood Hall

Lynnewood Hall wurde zwischen 1897 und 1900 für den US-amerikanischen Transportunternehmer und Kunstsammler Peter Arrell Browne Widener erbaut, der einer der Investoren des 1912 gesunkenen Unglücksschiffs RMS „Titanic“ war. Das Anwesen befand sich ursprünglich auf einem 195 Hektar großen Grundstück im Elkins Park in Montgomery County, Pennsylvania.
Bis heute zählt es zu den größten historischen Gebäuden in den Vereinigten Staaten. Wegen seiner außergewöhnlichen Architektur wird es auch als „das letzte Versailles der USA“ bezeichnet.
Der Herr des Hauses

Widener, der Herr des Hauses, gilt heute als einer der reichsten Personen in der Geschichte Amerikas. Sein Reichtum und makelloser Geschmack spiegeln sich in der prächtigen Gestaltung seines ehemaligen Wohnhauses wider. Dieses Porträt wurde von John Singer Sargent gemalt, der damals zu den renommiertesten Künstlern des Landes zählte.
Aus Trauer erbaut

Trotz seiner Pracht hatte das Herrenhaus, das hier auf einer Archivaufnahme aus dem Jahr 2021 von Fotograf Leland Kent von „Abandoned Southeast“ zu sehen ist, einen traurigen Anfang. Widener hatte seine Frau Hannah 1896 bei einem Unfall mit der Jacht der Familie vor der Küste von Maine verloren. In seiner Trauer zog Widener aus dem Stadthaus an der Broad Street in Philadelphia aus und schuf einen prächtigen Familiensitz auf dem Land. Allerdings war das Schiffsunglück nicht das einzige, das die Familie erleben sollte …
Entworfen von Architekt Horace Trumbauer

Widener bat den US-amerikanischen Architekten Horace Trumbauer, ihm ein neues Zuhause zu entwerfen – einen Ort, an dem er und seine Kinder sich wohlfühlen konnten. Mit einer Wohnfläche von 9.290 Quadratmetern wurde Lynnewood Hall aus Kalkstein in einer T-Form erbaut, die auf diesem ursprünglichen Grundriss zu sehen ist.
Große Ambitionen

Wie ein königlicher Palast

Seide, Samt und Gold

Widener liebte Kunst und teure Antiquitäten. Die Zeitung „Philadelphia Inquirer“ beschrieb die Räume des Anwesens einmal als „von Seide, Samt und Vergoldungen durchtränkt“. Die Räume seien mit Stühlen aus dem Palast Ludwigs XV. eingerichtet gewesen, sowie mit Perserteppichen, chinesischem Porzellan und Malereien von Raffael, Rembrandt, El Greco, Van Dyck und Donatello.
Die Eingangshalle

Erhalten gebliebene Schönheit

Außergewöhnliche Einrichtung

Die verfallene Küche

Das geheime Stockwerk

Die Erben von Lynnewood Hall

Die Verbindung zur „Titanic“

Die „Titanic“-Katastrophe

Ein Haus der Kunst

Die Kunstgalerie

Der Nation gestiftet

Was aus der Kunstgalerie geworden ist

2021, als Fotograf Leland Kent diese Aufnahme machte, war die einst prächtige Kunstgalerie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nachdem jegliche Kunstwerke entfernt wurden, war nur noch ein leerer Raum übrig. Die hübsche Glasdecke war jedoch noch intakt.
Der Prachtraum des Hauses

Was aus dem Ballsaal geworden ist

Die Gärten von Gréber

Die Gärten von Gréber

Beginn des Verfalls

Der erste Eigentümerwechsel

Ausverkauf der Schätze

Überreste der Pracht

Dennoch sind Überreste der Pracht in vielen der kunstvollen Räume des Hauses erhalten geblieben – manche in besserem, manche in schlechterem Zustand. Dieser Empfangssaal im geräumigen ersten Stock wurde 1915 fertiggestellt, als Joseph E. Widener die Inneneinrichtung des Hauses neu gestaltete. Der im Louis-XV-Stil dekorierte Saal ist mit 24-karätiger Vergoldung versehen und wäre der ideale Ort gewesen, um wichtige Gäste zu empfangen.
Die Badezimmer

Auf diesem Bild ist eines der 20 Badezimmer des Hauses zu sehen. Zwar war der Raum bei der Begehung von Fotograf Kent 2021 inzwischen verfallen, doch könnte er mit ein wenig Zuwendung wieder in altem Glanz erstrahlen.
Die Schlafzimmer

Relikte von damals

Beispiellose Architektur

Selbst in dem desolaten Zustand, in dem Kent das Haus fotografierte, war das erstaunliche Grundgerüst des Gebäudes zu erkennen. Dem Fotografen zufolge handelte es sich bei diesem Raum um das ehemalige Schlafzimmer von Peter Widener. Obwohl der Kamin und der Kronleuchter erhalten blieben, war dies das einzige Schlafzimmer im Haus, das entkernt und dessen kunstvolle Holzvertäfelung Anfang der 2000er-Jahre verkauft wurde.
Kampf um den Erhalt von Lynnewood Hall

Die Größe dieses Salons mit seinen Stuckdecken konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Villa zuletzt in einem schlechten Zustand befand. 2003 wurde Lynnewood Hall auf die Denkmalliste gesetzt, die sich für den Erhalt historischer Gebäude in Philadelphia einsetzt. Zudem versucht eine Kampagne das alte Anwesen zu retten.
Das ehemalige Schwimmbad

Der Geheimtunnel

Der Geheimtunnel

Der Tunnel verzweigt sich in mehrere Richtungen, vermutlich zum Kutschen- und zum Pförtnerhaus des Anwesens. Bei seiner Besichtigungstour bekam Fotograf Kent nur wenige Meter der Geheimgänge zu sehen, die sich in einem sehr schlechten Zustand befanden. Der Schutt zeigt deutlich, dass sich hier seit langem niemand mehr durchgewagt hat.
Die vielen Verkaufsversuche

Endlich gerettet

Im Juni 2023 wendete sich das Schicksal von Lynnewood Hall jedoch zum Guten. Das Herrenhaus wurde von der Lynnewood Hall Preservation Foundation (LHPF) erworben, die im Juli 2022 mit dem Ziel gegründet worden war, das Anwesen aufzukaufen und „in seiner früheren atemberaubenden Pracht wiederherzustellen“.
Richard S. Yoon, Pastor der Ersten Koreanischen Kirche von New York, hatte die Stiftung bei der Instandhaltung des Anwesens unterstützt. Angie Van Scyoc, Betriebsdirektorin des LHPF, sagte gegenüber der Tageszeitung „The Philadelphia Inquirer“: „Dr. Yoon war wirklich entschlossen, das Anwesen nicht in die Hände von Bauunternehmern fallen zu lassen. Auf diese Weise hat er Lynnewood Hall gerettet.“
Ein 83-Millionen-Euro-Restaurationsprojekt

Den Kaufpreis des Anwesens will die Stiftung nicht nennen. Sie gab jedoch bekannt, dass sie bisher rund 9 Millionen Euro aufgebracht hat, um den Kauf des Anwesens sowie dringende Arbeiten und Stabilisierungsmaßnahmen zu finanzieren. Nach einem umfassenden Restaurierungsplan, dessen Kosten auf umgerechnet über 83 Millionen Euro geschätzt werden, will die Gruppe das Haus der Öffentlichkeit als „kulturelles Zuhause und Museum der schönen und dekorativen Künste“ zugänglich machen.
Die erste Phase der Restaurierung, die die Sanierung kritischer Systeme und der Außenanlagen sowie die Konservierungsplanung umfasst, wird voraussichtlich bis zu 28 Millionen Euro kosten. Die Gruppe beabsichtigt, die Mittel für die Restaurierung durch eine Crowdfunding-Initiative auf ihrer Website und durch weitere Einnahmequellen wie Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen aufzubringen.
Auf den Spuren der Vergangenheit

Die erste Aufgabe des Teams bestand darin, den Wildwuchs, der das einst gepflegte Gelände über Jahrzehnte hinweg überwuchert hatte, zu bändigen und die Grünflächen so schnell wie möglich der örtlichen Gemeinde zugänglich zu machen. Während die Sommerhitze das Gelände austrocknete, machte die Gruppe eine unglaubliche Entdeckung: Die ursprüngliche Landschaftsgestaltung, Wege und Zufahrten kamen zum Vorschein, von denen einige mehr als 80 Jahre lang verborgen waren.
Das Team hat die ursprüngliche Gestaltung der Grünflächen dokumentiert, und die Restaurierung der französischen Gärten ist neben der der Gebäude als zweite Phase ihrer Arbeit geplant. Die Kosten für diese Phase werden auf rund 23 Millionen Euro geschätzt.
Ein ehrgeiziges Unterfangen

Auch im Inneren des Anwesens hat sich einiges getan. Im September 2023 wurde zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Beleuchtung der Galerie über der großen Haupttreppe wieder in Betrieb genommen.
Andere Bereiche des Hauses bedürfen jedoch größerer Aufmerksamkeit. Ein Teil der Innenräume müssen dringend saniert werden. Sie sind jedoch asbestbelastet und können nicht gefahrlos restauriert werden.
Gefährliche Bereiche

Ein solcher gefährlicher Bereich ist dieser Teil des Kellers. In diesem vernachlässigten Raum soll sich einst eine private Kegelbahn der Familie Widener befunden haben. Sie wurde später in ein Billardzimmer umgewandelt, in dem sich das Hauspersonal entspannen konnte – eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Einrichtung. Das einzige, was von der Kegelbahn heute übrig geblieben ist, ist der imposante Steinkamin.
Trotz seiner einstigen Pracht ist offensichtlich, dass die Bausubstanz des Kellers dringend renovierungsbedürftig ist. Im Juli 2023 gab die LHPF bekannt, dass sie mehr als 1,1 Millionen Euro für die Asbestsanierung aufbringen muss.
Dramatische Veränderung

An anderen Stellen wird bereits deutlich, dass ein neues Kapitel in der Geschichte von Lynnewood Hall begonnen hat. Die Umgestaltung dieses herrschaftlichen Raumes ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber er ist bereits absolut beeindruckend. Der Fußboden, der einst mit Schutt und Staub bedeckt war, liegt nun in seiner ganzen Pracht frei. Die Tiefen der Türverkleidungen wurden freigelegt und die Bücherregal-Imitate wieder instand gesetzt.
Die letzte Phase des Restaurierungsplans für das Anwesen wird sich mit der Neugestaltung der Innenräume befassen, die behutsam modernisiert werden sollen. So sollen Kunstgalerien, Bildungsbereiche, Cafés und Veranstaltungsräume geschaffen werden. Das Budget für diese Phase beläuft sich auf umgerechnet stolze 37 Millionen Euro.
Neuentdeckung der Lynnewood Lodge

Die Lynnewood Lodge stand lang im Schatten des großen Haupthauses. Das Gebäude gehörte zum ersten Bau des Anwesens im Jahr 1899 und war ursprünglich als Kutschenhaus und Stallung in das Gelände integriert. Zwischen 1918 und 1924 soll es von Peter A. B. Widener II., dem Enkel des Erbauers von Lynnewood Hall, umgenutzt worden sein. Er nutzte die Räumlichkeiten für die Zucht von Deutschen Schäferhunden und nannte sie zu Ehren seiner Eltern Joseph und Ella „Joselle Kennels“. 1925 baute Joseph Widener das Gebäude zu einem Wohnhaus für seinen Sohn Peter A. B. Widener II. und dessen Frau Gertrude um.
Renovierungsbedürftig

Obwohl die Lodge in der Vergangenheit wenig Beachtung fand, ist sie beeindruckend groß und erstreckt sich über knapp 1.500 Quadratmeter. Doch hat die jahrelange Vernachlässigung ihren Tribut gefordert: Die eindrucksvolle doppelstöckige Eingangshalle ist zwar noch erhalten, aber der Zustand des Gebäudes ist dringend renovierungsbedürftig. Die LHPF plant derzeit ein umfangreiches Restaurierungsprogramm, das Teil des Gesamtrenovierungsplans für das Anwesen sein wird.
Neue Hoffnung für Lynnewood Hall

Die Restaurierung von Lynnewood Hall wird mühsam und kostspielig sein, dennoch erfreut es viele, dass dieses erstaunliche Stück US-Architekturgeschichte für künftige Generationen erhalten bleibt. So langsam erwacht das Herrenhaus auch wieder zum Leben: Im Sommer 2023 fand in der Villa ein Modeshooting statt und sie diente sogar als Kulisse für ein Musikvideo der US-amerikanischen Punk-Rock-Band The Menzingers.
Im November 2023 wurde die LHPF mit dem „Turning Point Award“ der gemeinnützigen Organisation Preservation Pennsylvania ausgezeichnet, eine Anerkennung für die Arbeit des Teams. Es sieht ganz so aus, als würde dieses geschichtsträchtige Anwesen endlich das märchenhafte Ende finden, das es verdient.
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